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Samstag, 22. Oktober 2011

Ein halbes Jahr später - Immer noch Angst vor der Kernenergie?

Zeit Online brachte im April 2011 einen kurzen Artikel mit der provokanten Überschrift: "Zur alternden Gesellschaft gehört die Angst vor riskanten Techniken." (Adam Soboczynski, Zeit Online, 14.04.2011)

Die Zahl der von Zeit Online entfernten Beiträge, aber auch die Inhalte der Kommentare bestätigen, dass vier Wochen nach Fukushima die Aufgeregtheit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders groß war. Ist dem hoch entwickelten technologischen Verstand der Deutschen die Erkenntnis zu verdanken, Atomkraft sei eine Risikotechnologie und gehöre deshalb abgeschafft? Wohl kaum.
Wenn dieses Wissen über die Kernenergie aber nicht vorhanden ist, was ja an Hand von Forumsbeiträgen und Zeitungskommentaren gegen die Kernenergie ebenso wie in politischen Schriftstücken leicht nachgeprüft werden kann, was ist es dann, was unsere Landsleute derart in Rage gebracht hat?

Eine mögliche Erklärung ist vielleicht die "Feminisierung" der Gesellschaft, eine Reaktion auf den "Männlichkeitswahn", in dem der Glaube an die Beherrschbarkeit der Natur mit Hilfe der Technik zwar auch heute noch eine große Rolle spielt, aber zunehmend von der Natur selbst widerlegt wird. Damit gewinnt die Angst vor der Technik eine neue Qualität, sie ist nicht mehr nur ein Merkmal für »Feminismus«, von Männern gerne im Sinne von Feigheit verwendet, sondern als Zeichen der Vorsicht und der Vernunft.

Die Idee der vollständigen Beherrschbarkeit der Natur ist überholt, die Männer, die bejubelt wurden, weil sie dampfende Loks, in den Himmel ragende Raketen, Bomben und Kraftwerke lenkten, antrieben und beherrschten und mit jugendlichem Abenteuersinn (die sexistische Symbolik in der Technik ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen) dem Fortschritt zum Durchbruch verhalfen, sind selbst alt geworden. Nicht überholt ist dagegen der männliche Anspruch auf Führung. Es sind im Bereich der "erneuerbaren Energien" weniger die Frauen, sondern wiederum Männer, die die Führung beanspruchen und insbesondere alte Männer, die sich bejubeln lassen.

So sonderbar ist der Gedanke von Soboczynski also nicht, dass es "ein Zeichen alternder Gesellschaften" sein kann, dass die alternden Männer "jedem Anflug des kraftstrotzend Männlichen mit größter Aversion begegnen". "Während bekanntermaßen in Amerika und in Frankreich – beides Länder mit vergleichsweise hoher Geburtenrate – das nukleare Desaster in Japan auf ziemlich geringes Interesse stieß, wurden hierzulande binnen weniger Tage Atommeiler abgeschaltet, und es sorgten die Wähler für ein parteipolitisches Erdbeben bei der baden-württembergischen Landtagswahl: Erstmals wird ein Grüner Ministerpräsident, der 62-jährige Winfried Kretschmann. Günter Grass, 83, hält eine umjubelte Lesung vor dem AKW Krümmel."

Hinter der Anti-Atomkraftbewegung hat sich schon längst ein neuer Machtfaktor gebildet, der ökologisch-industrielle Komplex, in dem alte Politiker und Großkonzerne weiterhin eine Führungsrolle haben, sich feiern  lassen, den jungen aber gerne und mit Erfolg die PR-Arbeit überlassen. Wer auf Gesundheitsgefahren, beispielsweise durch Infraschall von Windkrafträdern, hinweist, wird schnell auf Widerspruch stoßen und feststellen, dass sich der männliche Anspruch, die Technik, die Risiken und die Folgen im Griff zu haben nur auf ein anderes Gebiet verlagert hat. Und wieder wollen mutige, tatkräftige Männer mit Abenteuersinn und Pioniergeist bejubelt werden. Und wieder werden die Risiken verdrängt oder auch unterschlagen, obwohl sie kaum geringer sein dürften als die der Kerntechnologie. Windkrafträder und Solarkollektoren sind kein harmloses, umweltfreundliches Spielzeug, auch wenn dies so propagiert wird.

Während jede Abweichung, jeder Störfall in einem Atomkraftwerk erfasst und gemeldet wird, ausgefeilte Sicherheits- und Warnsysteme bestehen, die Anlagen jederzeit öffentlich kontrolliert werden und abgeschaltet werden können, eine öffentlich finanzierte und kontrollierte Forschung permanent dazu beitragen kann, die Gefahren zu minimieren, gilt dies für andere Industrien in der Regel nicht.
Die eigentlichen Risikotechnologien sind eher in anderen Industriebereichen zu finden, beispielweise bei Bisphenol A, einer Chemikalie, die einen festen Platz in unserem Alltagsleben hat. Die Chemikalie findet vielerlei Verwendung, sie steckt in der Innenbeschichtung von Konservendosen und Getränkebüchsen, Plastikflaschen und Verpackungsmaterial, Kontaktlinsen, Elektrogeräten, Kinderspielzeug, Sportartikeln, Bodenbelägen, Kassenbons und DVD. Die französische Agentur für Lebensmittelsicherheit ANSES listet knapp sechzig verschiedene Wirtschaftszweige auf, die potenziell Bisphenol A einsetzen. 3,8 Millionen Tonnen werden weltweit jährlich von dem Stoff produziert, es handelt sich um eine der am meisten hergestellten Chemikalien überhaupt. (DW-World, 21.04.2011)

Die Chemikalie steht im Verdacht Krebsleiden, Fettsucht, Herzerkrankungen und Unfruchtbarkeit zu fördern. Der Verdacht verdichtet sich zunehmend. Die Industrie versichert, dass der Stoff bei normaler Verwendung unbedenklich sei ... Ist diese Industrie abzuschalten?

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